Eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit

Die ruhige und sanfte Atmosphäre in St. Petri berührt mich. Die in der Mehrzahl gelb und blau gefärbten kleinen Scheiben der Kirchenfenster dämpfen das gleißende Tageslicht zu einem milden Helldunkel. Über die blaugrünen Bänke gleitet mein Blick zu dem thematisch seltenen Altarblatt „Christus mit dem versinkenden Petrus“. Bemerkenswert ist der Geruch nach Kerzenwachs, den ich in anderen Kirchen noch nicht so deutlich wahrgenommen habe.

„Eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ Mit flüchtigen, immateriellen Installationen zur Offenbarung des Johannes steigere ich die Atmosphäre in der Petrikirche:

Ätherische Lichtreflexe einer Projektion lassen fließendes Wasser sichtbar werden. Sie knüpfen einerseits an das Altarbild der fördenahen Kirche an und stehen andererseits im Kontext zur Apokalypse, in der Wasser vielfaches Sinnbild der Untergangs- und Erlösungsprophetien ist.

Das gesamte letzte Buch der Bibel wird von sechs Frauen der Gemeinde, zwei Mädchen, zwei Frauen mittleren Alters und zwei älteren Damen, in drei übereinandergelegten Klangschichten in unterschiedlichen Tempi flüsternd gelesen. In der Klanginstallation schweben die flüsternden Stimmen durch den Kirchenraum. „Flüstern“ und „Offenbaren“ wird gegeneinandergestellt. Der Text wird Klang.

Aromen von Honig (Offb 10,9-10) und Zimt (Offb 18,13) mischten sich in den Wachsduft von St. Petri.

Zu den drei immateriellen Installationen richtete ich eine Wasserbar ein. „Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (Off. 22,17)


Eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit
ortsbezogene Installationen mit Licht, Klang, Duft und einer Wasserbar
Projektion von Lichtreflexen, Offenbarung als dreistimmig geflüsterte Klangkunstkomposition, sechs Lautsprecher Speichermedium/Kabel/Audiotechnik, Projektor, Honig, Zimt, Aromalampen, Wasser, Krug, Gläser

Kunst + Kirche: Dialog. Ausstellungen Region Flensburg Angeln Sonderjylland Kappeln Neukirchen. St.-Petri-Kirche, Flensburg, 2000

Flüsterpartitur.pdf


*Gedankensplitter zu meiner Inst. ,,Eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ in St. Petri

[…]

Wasser

Auf dem 1909 gemalten Altarbild von L. Dettmann versinkt Petrus bei dem Versuch, über dos Wasser zu gehen, und reckt sich noch dem rettenden Christus. (Das Bildprogramm weicht von der üblichen Thematik z.B. Abendmahl, Kreuzigung oder Auferstehung Christi ab. Für die Kirche einer Hafenstadt ein Altarbild mit einem Wassermotiv zu malen, finde ich anregend.)

ln der Apokalypse ist ,,Wasser“ in unterschiedlichen Zusammenhängen bedeutsam:

– als ,,Stimme wie ein großes Wasserrauschen“,
– als „gläsernes Meer“ , – als „Quellen des lebendigen Wassers“,
– als Wasser, das zu Wermut wird,
– als Wasser, das in Blut verwandelt wird,
– als ,,Wasser wie ein Strom“, den die Schlange aus ihrem Rachen stößt,
– als ,,der vertrocknete Euphrat“,
– als ,,Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall“ etc.

,,Wasser“ ist unmittelbar mit Zukunftsfragen verbunden:

– Schmelzen die Eismassen der Pole, so dass der Meeresspiegel steigt und tiefer gelegene Gebiete versinken {z.B. auch Flensburg}?
– Wird Wasserkraft dazu beitragen, Energieprobleme zu lösen?

Wasser ist ein Grundnahrungsmittel. Schon heute müssen 2 Milliarden Menschen verschmutztes Wasser trinken, ca. 5 Millionen Menschen sterben jährlich daran.

– Wann wird Wasser kostbarer als Öl sein und an der Börse gehandelt werden?
– Werden Wasserkriege geführt werden oder
– wird es eine internationale Wasser-Charta geben, bei der sich die Unterzeichner verpflichten, bei der Verteilung von Wasser Frieden zu wahren?

Wasser ist noch antiker Vorstellung neben Erde, Luft und Feuer eines der vier Elemente des Weltalls, in physikalischer und in geistiger Hinsicht. Wasser ist ein wichtiger Bestandteil bei der Ausübung der christlichen Religion (Taufe, Weihwasser etc.)

„Wasser“ erscheint in meiner Installation als Licht in der Projektion über dem Altarbild. Das Wasser wird durch die Fließbewegungen und Lichtreflexe eines breiten Flusses (Rhein) sichtbar.

– ln der zarten Erscheinung wird „Wasser“ mit vielfältigen Bedeutungsmöglichkeiten thematisiert,
– Wasser und Licht (und damit auch die Lichtsymbolik der Kirche: Licht als Zeichen für Göttlichkeit und Heiligkeit, als Strahlenkranz) werden als „geistige Prinzipien“ gleichgesetzt.

Reales Wasser (einfaches Leitungswasser) kann in meiner Installation an der Wasserbar genommen und getrunken werden:

– um einfach nur den Durst zu löschen,
– um sich an dem hier noch unbegrenzt zur Verfügung stehenden reinen Trinkwasser zu freuen,
– um die Selbstverständlichkeit für einen Moment gegen „bewusstes Erleben“ von Wasser einzutauschen,
– um die Kostbarkeit von Wasser zu erleben,
– um an dem religiösen „Wasser des Lebens“ teilzuhaben etc. […]

Wahrnehmung oder mit allen Sinnen

Das ,,Zusammenschieben“ der Offenbarung in drei übereinander liegende Schichten:

– 1. Schicht: Die Naturkatastrophen
– 2. Schicht: Der Kampf der bösen gegen die guten Mächte
– 3. Schicht: Der Jubel im Himmel und das neue Jerusalem

verwandelt das ,,Nacheinander“ in ,,Gleichzeitigkeit“. Der Dualismus von Untergang und Erlösung wird aufgehoben und stattdessen in ein labiles Gleichgewicht gesetzt.

Die Betonung der Eingangsfloskeln zu den Visionen und Auditionen:

– und ich sah und ich hörte
– und auf die Sinnesorgane Augen und Ohren

rücken die Wahrnehmung selbst und nicht das Wahrgenommene der Prophetien ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so dass neben dem Untergang bzw. der Erlösung eine dritte Möglichkeit gezeigt wird: Die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen, sich selbst verantwortlich zu fühlen und zu handeln.

Alle Sinne werden deshalb in meiner Installation angesprochen:

– die drei Fernsinne mit Licht, Klang und Duft und
– die beiden Nahsinne mit der Wasserbar.

Meine Installation ,,Eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ ermöglicht einen neuen meditativen und sinnenfreudigen Zugang zur Offenbarung des Johannes. Die religiöse Deutung ist quasi ein politischer Appell.

Katja Kölle, Handout, Flensburg, 2000