Horchen und durstiges Ohr

In seiner Ode „Das Gehör. An Hegewisch, den Blinden“* scheint G.F. Klopstock abzuwägen, was schlimmer sei, nicht sehen oder nicht hören zu können. Doch die Ode entwickelt sich zu einem Loblied auf das Hören und feiert die Anatomie des Ohres als Architektur. Dabei muss man bedenken, dass das Hören am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht gründlich erforscht war.

Die erhabene Gedichtform und die pathetische Sprache der Ode verlangt geradezu danach, „zum Laut, den du liebst,…“ zu werden, und theatralisch zu erklingen. In meiner Sprachinstallation wird die Ode, die langsam und mit vielen Pausen geflüstert wird, eher zu einer Besinnung oder Versenkung. Die Kirche wird zum Resonanzraum der Ode, die in verwandelter Gestalt hörend erlebt werden kann.

Sämtliche Kirchenlautsprecher übertragen das geräuschhafte Flüstern, das daher zunächst überall im Raum leise, aber deutlich zu hören ist. Plötzlich überlagert kräftiges weißes Rauschen – wie eine starke Windböe – das Flüstern, so dass man den Text nicht mehr verstehen kann. Durch die Schallreflexionen ist das Rauschen der von mir auf der Empore positionierten projizierenden Lautsprecher im Raum nicht zu orten.

Erst beim mehrfachen Hören der Ode kann man evtl. den gesamten Text auffassen, da das Rauschen immer wieder andere Passagen übertönt.


Horchen und durstiges Ohr**
Raum-Klang-Installation, Mono Flüsterkomposition, Stereofone Kompositionen für weißes Rauschen, Kirchenlautsprecher sowie zwei weitere Lautsprecher, Speichermedien/Kabel/Audiotechnik

DEO et POPULO – 275 Jahre Christianskirche*** Hamburg, 2013

Ausstellungsflyer.pdf


*Friedrich Gottlieb Klopstock
Das Gehör.

An Hegewisch, den Blinden.
Es tagt nicht! Kein Laut schallt! Wer entschlöss sich schnell hier? wen erschreckte nicht
Das Graunvolle der Wahl?
Doch sie sey dein Schicksal; du erköhrst doch Blindheit? Des Gehörs Verlust
Vereinsamt, und du lebst
Mit den Menschen nicht mehr. Wenn du also kein Gott bist: so wählst du recht,
Willst blind seyn, und entfliehst
Den nur Sterblichen nicht. »Sehr ernst ist der Gedanke von dieser Wahl,
Versenkt tief mich in Schmerz,
In zu trübes Gefühl! Doch was Wahl? Es umringt schon den ahndenden,
Schon wehdroht mir die Nacht!«
Das Licht schwand: doch entbehrst du das freundliche Wort des Geliebten nicht;
Nicht Stromfall, noch den Schlag
Der geflüchteten Wolke, die donnernd sich wälzt, dass die Hütte bebt,
(Ein Graun Zagenden nur)
Und lautwirbelnd Sturmwind‘ an Felsenklüften herbrausen! nicht Waldgeräusch
Von Mayluft, die dich labt;
Noch das frohe Gesing am verhohlnen Nestbau; nicht den süssen Reiz
Der Tonkunst; und gewann
Die Dichtkunst dein Herz auch, nicht den Reihen, in welchem sie schwebt, nachdem
Der Inhalt ihr gebeut:
Entbehrst nicht die Bezaubrung, wenn beydo, darreichend die Schwesterband,
Durch Eintracht sich erhöhn,
Und gelehriges Ohres, entzückt, die Drommet‘ und das Horn vernimt
Der Nachhall im Gebirg.
Wer taub dann ihn gewahrt in der Freude, den Blinden, der trübt den Blick
Vor Mitleid mit sich selbst.
Und du möchtest das Wundergebäude, worin die geregte Luft
Zum Laut wird, den du liebst,
Wie gesunken dir denken, zerstöret, dass nun sich ihr Wallen dir
Umsonst naht, und wie stumm
Dir zerfliesst; ah zerstört Gehörgang, die erklingende Grotte, drin
Den Ambos, und von ihr
Zu dem Munde den Weg, und an ihrem Gewölbe die Fäserchen,
Sie Aufhalt des Getöns,
Dass es sanft sich verliere; die feineren Saiten, sie sind gestimt
Dem Anwehn, das sie rührt;
(Wie Windemen nicht allen gestimt) den Vorsaal, wo es netzend rint,
Emporwallt, wie der Quell;
Die gebogenen Röhren, der Schnecke Gewinde, die Scheidewand,
Das ganze Labirinth?

**Der Titel „Horchen und durstiges Ohr“ ist ein Zitat aus Klopstocks Ode „Die Vortrefflichkeit“.
In seinen Versen finden sich häufig synästhetische Verdichtungen, die mich künstlerisch sehr ansprechen.

***Die Christianskirche wird in Hamburg „Klopstockkirche“ genannt. Klopstock ließ seine Frau Meta, die bei der Geburt ihres Sohnes starb, dort mit ihm beerdigen. Noch im gleichen Jahr pflanzten zwei Schwestern Metas zwei Linden auf das Grab, in das Jahre später auch Klopstock und danach auch seine zweite Frau Johannagelegt wurden. Über die Jahre entwickelte sich eine der Linden sich zu einem imposanten Baum.