Uwe Haupenthal, Nordfriesische Museen
Katja Kölle. KLANGNETZ Schleswig-Holstein
Die Installationskünstlerin Katja Kölle ist in Schleswig-Holstein beileibe keine gänzlich unbekannte Frau, lebte sie doch selbst lange, bis 1997, vor Ort in Flensburg. Aus ihrer jetzigen, rheinländischen Perspektive muss ihr das annexartige nördliche Bundesland wie ein großer, mehr oder weniger abgeschlossener topographischer Bereich vorkommen, den sie mit einer ausgedehnten, an fünf Orten teils nacheinander, teils gleichzeitig präsentierten Klanginstallation zu bespielen weiß. Neben Husum befinden sich Teile der Arbeit in Flensburg am Hafen und in der Bücherei, in Schleswig in der südlichen Altstadt, in zwei ausgewählten Kirchen in Lübeck sowie in der Stadtgalerie in Kiel. Husum ist damit einzige, wenngleich unabdingbare Anlaufstation an der Westküste, was jedoch nicht nur der Lage, sondern auch dem kulturellen Rang der Stadt Rechnung trägt. – Imaginär ist ein Netz ausgelegt, das wohlkalkuliert und durchaus Sinn macht. Und weiß man erst einmal um die anderen Ausstellungsorte, so denkt man diese immer auch mit, selbst dann noch, wenn die anderen Installationsteile selbst nicht erlebt werden können. In Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten fühlt man sich seltsam angerührt.
Friesartig wurde der Husumer Installationsteil von Katja Kölle angeordnet. Und dieses in lichter Höhe, im Außenbereich, an den Fenstern des Ratssaales. D.h., nicht immer sofort wahrnehmbar, wenngleich doch an einer besonderen, eher abgeschieden anmutenden Stelle, die gleichwohl den visuellen und akustischen Bezug zur Umgebung des Hafens nicht verliert. Über die hörbaren Geräusche der Installation nimmt man immer auch, und zwar nach dem Prinzip des Zufalls, die akustischen Signale des Umfeldes wahr. Diese können ebenso aus der Natur wie vom Zusammenleben der Menschen herrühren: Kurze, etwa zweiminütige Sequenzen enthalten neben menschlichen Stimmen, u.a. diejenigen von Krähen, Geräusche von der Schlei in Schleswig, Verkehrslärm, Automaten- und Bahnhofsgeräusche und andere mehr. Diese bilden ein je nach Standort unterschiedliches auditives Grundraster, über das eine zweite, weit längere Sequenz gelegt wurde. Was zunächst oft unklar und verwirrend anmutet, erschließt sich am letzten Ort der Ausstellung, in der Stadtgalerie in Kiel, in einem kleinen sog. „Hörbüchlein“, schließlich eindeutiger und dadurch verifizierbar. Ein sich allmählich verdichtender Prozess, denn die Installationen werden nicht gleichzeitig aufgebaut, sondern nacheinander, in zeitlicher Versetzung. Und in gleicher Reihenfolge werden sie schließlich auch wieder abgeschaltet, bis sich das Ganze, auch als Wort „K L A N G N E T Z“ sichtbar, in kleinen Plastiken von schnatternden Enten (die mit Bewegungsmeldern versehen sind) auflöst. Ein sinnfälliger Abschluss.
Beeindruckend, mit welcher puristischen Strenge Katja Kölle ihre Arbeit inszeniert hat. Obwohl das Zufällige, Nicht-Kalkulierbare, immer auch Teil der Installation ist, bleibt letztendlich nichts dem Zufall überlassen. Als bewusste Gegensätze beispielsweise teilen sich die Orte mit, an denen die Geräusche aufgenommen wurden. Und unterschiedlicher konnten die Orte der Inszenierung wohl auch nicht sein: Neben dem offenen Hafen in Flensburg und einem Aufzug in der ortsansässigen Bücherei, finden sich zwei märchenhaft erscheinende, efeubewachsene Häuser in Schleswig, zwei Kirchen in Lübeck, eine mit Bewegungsmeldern versehene, das Wort „Klangnetz“ nachzeichnende Installation von kleinen Enten in der Kieler Stadtgalerie sowie ein in der Kieler Stadtbücherei ausgelegtes „Hörbüchlein“, in das immer nur eine einzige Person hineinhören kann. Kollektive Wahrnehmung steht nicht zuletzt auch gegen das Individuelle. Eine offene, fast diffuse, sich erst nach und nach erschließende Ordnung muss sich gegen progressive Verdichtung behaupten. Mehr noch: Bei konzentriertem Hinhören und Hinsehen finden sich, zumindest in Andeutung, unterschiedliche Erfahrungen und Betrachtungsweisen von Realität. Das Mystische wie das Märchenhaft-Irrationale beispielsweise steht gegen die Erfahrung des Realen in Katja Kölles Husumer Installation. Geräusche werden als eine Art von plastischem Material erfahren, das den engeren wie den weiteren Hafen-Raum konzeptionell aus einer Reihung heraus, auch sichtbar, erschließt. Katja Kölles begrenzende, systematisierte Strenge freilich findet ihren natürlichen Widerpart in den beinahe informell wirkenden Strukturen der aufgenommenen und in einem künstlerischen Akt noch einmal verfremdeten Geräuschen. So gesehen – oder besser: so gehört treffen wir wiederum auf vermittelbare bildnerische Begrifflichkeit, zumal es sich eben letztendlich um ein Bild handelt, eben um ein Klangbild!
Was aber hilft theorielastige Überlegung, wenn man nicht bereit ist, sich in einem umfassenden physischen Sinne auf das einzulassen, was zu hören ist. Unsere Vorstellungskraft, unsere Imagination ist, gegen alle sichtbare Gewohnheit, auf neue und uns womöglich fremde Art gefordert. Das Resultat zumindest ist Sensibilisierung. Ein nicht geringer Gewinn.