Barbara Barthelmes
Durchdringungen, Mobile Musik, Klangsäulen
Zu den Arbeiten von Katja Kölle

In den großformatigen Bildkompositionen Katja Kölles, ihren raumgreifenden Mobiles und Klangsäulen herrscht die Kunst der Reduktion. Die Künstlerin begrenzt ihr Vokabular auf die zwölf Farben eines selbstgewichteten Farbkreises und bevorzugt geometrische Grundformen wie Quadrat, Kreis oder gleichseitiges Dreieck als strukturbildende flächendeckende Module.

In dieser Art Minimalismus ist sie durchaus der „Konkreten Kunst“ verwandt, wie sie zum Beispiel von Max Bill oder Josef Albers entwickelt wurde. Dort wird eine Vorstellung vertreten, welche die Abstraktion nicht als fortschreitenden Prozeß der Reduktion naturalistischer Formen und Gegenstände begreift, sondern als Konkretion von nicht Sichtbarem, von abstrakten nur in der Vorstellung existierenden ldeen. Die „konkrete“ Malerei versucht, über die unmittelbare Verwendung einfacher Bildelemente, wie Fläche, Linie, Volumen, Raum und Farbe, eine Kunst zu schaffen, die mit der abstrakten, mathematisch in Zahlen faßbaren Grundlage der Musik vergleichbar ist. Jenseits von Symbolik, Programmatik oder Expressivität spiegelt sie in ihren Formen und Strukturen eine höhere, allgemeine Ordnung der Dinge wider.

In Katja Kölles von konstruktivistischer Klarheit und strenger Logik geprägten Kompositionen artikuliert oder konkretisiert sich eine ganz abstrakte räumliche Formvorstellung, deren Virtualität vor allem in der Musik in spezifischen Farbe-Ton-Ordnungen ein Aquivalent findet. Ausgangspunkt für die Gleichsetzung von Farbe und Ton ist eine ausgeprägte synästhetische Wahrnehmungsfähigkeit, die sie in einer frühen Phase ihres Schaffens impressionistisch und subjektiv gefärbt ins

Bildhafte umsetzte. Der Wunsch, die subjektiven Höreindrücke zu objektivieren, führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Musik. Es lag dabei nicht im Interesse der Malerin, von der Malerei zur Komposition zu wechseln. Über die visuelle Wahrnehmung verschiedener Ebenen des Notenbildes und über den bildhaften Charakter musikalischer Strukturen und Formen gelangte sie zu einer Konkretion ihrer eigenen malerischen Vorstellungen. Sie erarbeitete sich ihr eigenes bildnerisches Material und Formenvokabular. „Bei der erhöhten Aufmerksamkeit, mit der ich Noten, Klavierauszüge, Partituren etc. las … fielen mir manchmal Passagen auf, die mir als Notenbild rein visuell sehr gefielen und mich anregten … An ausgewählten Fragmenten von Kompositionen aus der Hand Strawinskys, Wagners, Chopins oder Bachs untersuchte ich musikalisch-kompositionelle Gesetzmäßigkeiten, indem ich sie in Beziehung zu meinen malerischen Ideen stellte.“ 1

Aus dem Experiment mit der bildnerischen Umsetzung musikalischer Strukturen entwickelte Katja Kölle zunächst die für ihre Arbeiten bestimmenden Farbe-Ton-Beziehungen. Quintenzirkel und Farbkreis, ausgehend von C = Gelb, werden miteinander verknüpft. Die Spezifik dieser Farbe-Ton-Zuordnung liegt darin, daß Katja Kölle nicht auf bekannte Farbkreise zurückgreift, sondern die radiale Anordnung der Farben in spektraler Folge mit ihren eigenen inneren musikalischen Farbvorstellungen abstimmt. Ganz so, als ob sie sich ihr eigenes „Klavier“, in dem Fall ihre „Farbreihe“, nach einer „inneren Temperatur“ stimmen würde.

Auf diese erste Phase der Objektivierung der visuellen Vorstellungen durch die musikalische Ordnung des Quintenzirkels erfolgte die Ausdehnung der Analogiebildung auch auf weitere Dimensionen der Musik. Jeder Ton wurde außer durch eine Farbe auch durch eine bestimmte Form dargestellt, z.B. ein Quadrat, das gleichzeitig als Symbol für die Dauernverhältnisse genutzt werden kann. Eine Veränderung der quadratischen Form, z.B. deren Halbierung und Verdopplung, versinnbildlicht die Veränderungen der Tondauern, Beschleunigung oder Verlangsamung. Unterschiedliche Dunkelstufen verdeutlichen die Oktavlagen der Töne, große und kleine Flächen die dynamischen Grade und unterschiedliche graphische Symbole repräsentieren die unterschiedlichen Instrumente oder Instrumentengruppen. (Die Dimensionen Oktavlage, Dynamik und Klangfarbe hat sie später in dieser Form wieder aufgegeben.) Mit diesem bildnerischen Vokabular erstellte Katja Kölle zunächst Farbpartituren oder übersetzte bereits vorhandene Musikstücke bzw. Ausschnitte daraus in graphisch-bildhafte Partituren. Dabei treten ganz bestimmte Aspekte der Musik in den Vordergrund der visuellen Gestaltung: Modulationen, die sich in charakteristischen Farbwechseln widerspiegeln, Rhythmisierungen, die die Leinwand mit einem regelmäßigen, sich sukzessive verändernden Muster überziehen, musikalische Formgebilde, die sich durch Transpositionen und Krebsführungen von Skalen ergeben, wie z.B. Permutationen, Rotationen von Tonleitern, die ins Bildhafte gewendet als Doppelhelix oder Spiralen Räumlichkeit auf der zweidimensionalen Fläche erzeugen.

In einem nächsten Schritt verließ Katja Kölle die konkreten musikalischen Vorlagen. Anhand der sich selbst vorgegebenen und experimentell erprobten Kompositionsprinzipien entwickelte sie Figuren oder Module, die samt ihrer Varianten horizontal und vertikal oder – musikalisch formuliert – als Tonfolge oder Klang auf einer Fläche angeordnet werden können. So geschehen in dem großformatigen Bild Durchdringungen (Acrylfarbe auf Leinwand, 180 x 340 cm) von 1987 /88, das in der Abbildung 1 auf der rechten Seite des Ausstellungsraumes zu sehen ist. Die komplexen und variationsreichen Farbe-Tonkonstellationen bestimmen die Binnenstruktur des Bildes. Horizontale, Farb-Ton-Beziehungen, die sich gleichzeitig durchdringen, formen den Bildaufbau. Diese visuell-bildhafte Gestaltung von allseitigen Spiegelungen über horizontale, vertikale und diagonale Achsen können, in die Musik zurückübersetzt, als Projektionen in einen virtuellen Raum gelesen werden, wie ihn die zwölftönige und serielle Musik definierte. Auch in der Arbeit Konzentrischer Kanon II (Acrylfarbe auf Filz, Durchmesser 200 cm) von 1989 wird „Räumliches“ artikuliert (Abb. 1, links vorn). Die auf kreisförmiger, grauer Filzfläche angeordneten farbigen Vierecke stellen eine Überlagerung mehrerer, sich ständig wiederholender Bewegungsabläufe dar. Der imaginäre Raum gerät nun in Bewegung. Die Entstehung des Raumes durch Bewegung ist es, die in den Arbeiten oder Partituren nicht nur festgehalten, sondern auch gestaltet wird.

Es erscheint folgerichtig und konsequent, daß Katja Kölle nicht nur die Zweidimensionalität ihrer Tafelbilder erweitert und damit auch den imaginären Raum, sondern auch die methodisch erarbeiteten Ordnungen zugunsten von freieren offeneren aufgibt. In den reellen, dreidimensional meßbaren Raum ragen die großen Mobiles (Abb.2). Schallplatten dienen diesmal als Bausteine der Komposition, was einen weiteren konnotativen Bezug zur Musik herstellt. Sie werden auf ihren Ober- und Unterseiten entsprechend bestimmter Farb- und Tonbeziehungen bemalt, nicht aber mit der Absicht, tatsächlich klingende Musik zu evozieren. Dies ist gar nicht möglich, denn trotz vorgegebener Grundstruktur ist der Zeitpunkt und die Folge der möglichen Ton- und Farbkonstellationen offen. Die „Töne“ bewegen sich im Raum, und je nach physikalischer Bedingung treten sie zueinander in Beziehung oder werden je nach Standpunkt des Betrachters in einen Zusammenhang gebracht. Tonpunkte, Tonkonstellationen und imaginäre Verbindungen entstehen. Der Betrachter erlebt seine eigene Komposition, angeregt durch die Vorgaben der Malerin.

Eine vorerst letzte Etappe stellen die Klangsäulen aus dem |ahr 1991 dar (Ölfarbe auf Karton, 250 x 20 cm) (Abb. 3). In unterschiedlichen Kombinationen, Richtungen und Proportionen umkleiden die Farb-Töne die hoch aufragenden Zylinder. Neu hinzugekommen ist, daß die Art des Farbauftrags verändert wird: Unterschiedlich pastoser Farbauftrag wechselt mit glatten Farbflächen. Dadurch gewinnt sie eine weitere haptische Dimension hinzu, die man – musikalisch gewendet – als Rauhigkeit eines Tones oder Klanges beschreiben kann. Die musikalische Dimension ihrer Arbeiten erschöpft sich nicht allein darin, daß über Farbe-Ton-Analogien bestimmte bildnerische Struktur- und Ordnungsprinzipien entwickelt werden. Alle Arbeiten sind ohne ihre tatsächliche reale Klanglichkeit unvollständig.

In den Klangsäulen sind Lautsprecher installiert. Über die Klänge korrespondieren die einzelnen Säulen miteinander und der Betrachter bewegt sich mitten im Aktionsfeld.

Katja Kölle erstellt selbst, meist mit dem Computer intoniert, eine klangliche Übersetzungen ihrer Bildkompositionen und Objekte, die sie allerdings stets als nur eine Variante, eine Möglichkeiten unter vielen betrachtet. Gerade die Komplexität und Multidimensionalität der dort komponierten Farbe-Ton-Beziehungen öffnet ihre Arbeiten für verschiedene musikalische Interpretationen durch andere Musiker und Komponisten. Dabei geht es ihr nicht um eine direkte Rückübersetzung ihrer Malerei in Musik auf der Basis der Farbe-Ton-Analogie, sondern nur um das Ingangsetzen des Prozesses, den sie selbst bei der Gestaltung ihrer Bilder durchläuft, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. So wie sie über die Musik zur Konkretion ganz abstrakter, visuell räumlicher Vorstellung gelangt, können ihre Arbeiten als Katalysator zur Ausarbeitung bzw. Interpretation musikalischer Prozesse dienen.


1 zitiert aus: Katia Kölle, Systematische Verknüpfungen bildnerischer und musikalischer Elemente nach selbstentwickelten Kompositionsprinzipien, Hamburg 1985, mschr. Manuskript

Barbara Barthelmes, Durchdringungen, Mobile Musik, Klangsäulen. Zu den Arbeiten von Katja Kölle, in: Positionen, Beiträge zur Neuen Musik, Heft 17, „Intermedia“, 1993