Sigrid Blomen-Radermacher
Ausstellung „Antipasti“ von Katja Kölle und Rolf Gerhards

Klänge sind um uns herum: hohe und tiefe, laute und leise, spitze und runde, flirrende, sirrende, leichte und kräftige, helle und dunkle.

Der ,,Klang“ ist in unserer Sprache: Wir bemühen den Einklang oder den Nachklang, den Zusammenklang oder den Mißklang, um Atmosphärisches mit Worten zu erfassen und zu beschreiben. Klänge sind in der Malerei: Farb-Töne bringen ein Bild zum Klingen.

Die Installationen von Katja Kölle und die Bilder von Rolf Gerhards klingen jede für sich, sie klingen im Zusammenklang, klingen leise, kaum wahrnehmbar. Sie fordern die Betrachter auf, die eigenen Töne zurückzunehmen, leise und still zu werden, eine Weile zu verweilen, um die fremde Klangwelt, die Fülle an unterschiedlichen Klängen in den Bildern und der Installation mit allen ihren Sinnen zu erfassen und wirken zu lassen. Die Arbeiten von Katja Kölle bewegen sich am Rande der Wahrnehmbarkeit.

Mal sind es spezielle Orte und spannungsvolle Räume, die sie zu einer Arbeit inspirieren, mal ist es eine Musik‘ mal ist es die Sprache. Immer arbeitet Katja Kölle streng systematisch, immer mit minimalen Mitteln mit unspektakulären, einfachen Materialien.

Was nehmen wir wahr? Unsere Augen sehen Muscheln, Glasscherben,

Steine, Brennnesseln und Rosenblätter, Vogelfedern. Alltägliche, unauffällige, natürliche Dinge, die jeder von uns bereits viele Male achtlos und gelangweilt oder interessiert und fasziniert in Händen gehalten und betrachtet haben mag. Jede Materialakkumulation ist in einen Sockel eingelassen. Herausgelöst aus dem ursprünglichen Zusammenhang erhalten die Dinge eine intensive sinnliche Bedeutungsfülle, einen über sie hinaus verweisenden Charakter.

Was nehmen wir wahr? Unsere Ohren hören fünf unterschiedliche, kaum hörbare Töne, die gleichzeitig aus dem Inneren der Sockel kommen, die wirken, als würden die Materialien aus sich selber klingen und ureigene, nie gehörte Töne hervorbringen.

Visuelle und akustische Elemente klingen zusammen, verbinden sich zu einer die Sinne des Menschen ansprechenden Einheit. In dieser Einheit schwingen Himmel und Erde, Leichtigkeit und Schwere, Zufälligkeit und Einmaligkeit, Unverwechselbarkeit und Beliebigkeit, in dieser Einheit schwingt die Idee von Wasser, Luft und Erde als weltbildende Elemente, in dieser Einheit wird die Polarität zwischen Gut und Böse, zwischen Schönem und Häßlichem, zwischen Glück und Schmerz visualisiert.

Die Anregung für Katja Kölles Installation, die sie „Orphisch“ nennt, ist ein Gedicht von Johann Wolfgang Goethe: „Urworte. Orphisch“. Dieses besteht aus fünf Strophen, die ihrerseits die Namen von Göttern tragen: Dämon, der Gott, der das Schicksal zuteilt, Tyche, das Zufällige, Eros, die Liebe, Ananke, die Nötigung und Elpis, die Hoffnung. So wie das Gedicht von Goethe aus fünf Strophen besteht, besteht die Installation von Katja Kölle aus fünf Säulen. Das Flächenmaß der Sockel, 24 x 24 cm, ergibt sich aus der Summe der fünf Strophen mit je 11 Zeilen und 8 Versen. Doch Katja Kölle interpretiert nicht, sie nimmt Anregungen auf, hier die eines Gedichtes wie andernorts die eines Raumes, einer Straße, einer Musik. Sie läßt sich auf die Anregungen ein, läßt sich inspirieren, setzt Gedanken und Gefühle um, verändert die Ausgangspunkte.

Rolf Gerhards malt Farbe. Er umkreist seine Leinwand und bedeckt sie von allen Seiten mit buntfarbigen Klecksen, Tropfen, Spritzern. Kein Oben, kein Unten, keine Linksausrichtung, keine Rechtsausrichtung, keine vorgegebene Hierarchie bestimmt die Leserichtung von Rolf Gerhards Bildern, bis er nach dem Malprozeß für sie eine Position festlegt.

Schicht um Schicht gibt der Maler auf die Leinwand, bis die Farbe eine haptische, eine greifbare Qualität annimmt. Er – und schließlich auch der Betrachter – wird inmitten die Bilder gestellt, er nimmt direkten Kontakt zu ihnen auf, er entdeckt die Beziehungen zwischen den Farbtönen.

Alle Buntfarben, d.h. alle Farben außer den unbunten Schwarz, Weiß und Grau setzt Rolf Gerhards in seinen Bildern ein. Und doch erhält jedes Bild durch eine eher zufällige, nicht geplante, im Arbeitsprozeß sich entwickelnde Gewichtung die deutliche Dominanz eines oder zweier bestimmter Farbtöne. Helle und dunkle Farben, Komplementärfarbkontraste grün – rot, blau – orange, violett – gelb, warme und kalte Töne stoßen aufeinander, verändern im Miteinander und im Ineinander ihre ursprünglichen Klangfarben. Der in der Spontaneität des Farbauftrages ausufernden Komposition steht ein streng begrenztes und begrenzendes Format gegenüber.

In den mehrteiligen Arbeiten verhindern die schmalen Abstände zwischen den Tafeln ein Ineinanderfließen der einzelnen Teile, zwingen sie das Auge, zu springen, Grenzen einzuhalten, die Eigenständigkeit der Einzeltafeln zu akzeptieren.

Befreit von jeder gegenständlichen Festlegung bieten die Bilder von Rolf Gerhards ein weites Feld für Assoziationen. Während die Betrachtung der Bilder aus der unmittelbaren Nähe die zahlreichen Farbkleckse noch als solche erkennen läßt, ihre Eigenständigkeit in Form und Größe betont, verändern sich die Eindrücke, sobald der Betrachter sich von den Bildern entfernt: in der Distanz verbinden sich die ehemals individuellen Farbkleckse zu einem Fluß aus Farben, zu einer Gesamtkompositon: Die Farbklänge verbinden sich zu gekräuselten, glitzernden Wasserflächen, zu sonnendurchfluteten Wiesen, sie suggerieren das Gefühl warmer Herbsttage; sie entfalten ein Feuerwerk aus Farbsprenkeln.

Klänge sind um uns herum: hohe und tiefe, laute und leise, spitze und runde, flirrende, sirrende, leichte und kräftige, helle und dunkle.

Die Klänge aus den Bildern von Rolf Gerhards und der Installation von Katja Kölle bewegen sich am Rande der Wahrnehmbarkeit, sie drängen sich nicht auf, wollen langsam entdeckt und vernommen werden, bis sie ein Gegengewicht zu den oft aufdringlichen Klängen in der Welt erhalten.

Sigrid Blomen-Radermacher, Eröffnung der Ausstellung ,,Antipasti“ von Katja Kölle und Rolf Gerhards im Raum für Kunst am 10.10.1999